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Die Welt, auf die du schaust, existiert nicht wirklich.
Sie ist eine Projektion deiner Gedanken.
Auch alles, was du mit deinen Händen errichtest,
ist das Ergebnis deiner Gedanken.
So hast du die Welt selbst erschaffen.
Zu glauben, du lebtest in dieser Welt, ist ein Trugschluss.
Nicht du bist in der Welt,
die Welt ist in dir.
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Hier und Jetzt
Die Suche nach einem tieferen Sinn der Welt ist ein grundlegendes Merkmal des Menschen. Der Forschungsdrang wurde der Gattung Homo an die Wiege gelegt. Es drängte ihn der Wunsch, die Welt zu begreifen, und seine Gedanken formierten sich zu Fragen.
Wie ist die Welt beschaffen? Welche Elemente gibt es? Welche anderen Lebewesen gibt es? Gibt es Götter? Wer bin ich?
Fragen sind Ausdruck menschlicher Neugier, etwas, das »Wissen schafft« reflektiert das Verlangen nach Erkenntnis. Die Entwicklung der klassischen Wissenschaften lässt sich bis in die frühe Antike zurückverfolgen. Aus der rein geistigen Philosophie spaltete sich im Laufe der Zeit eine Disziplin ab, die sich bevorzugt der physisch-sinnlichen Erforschung der Natur und ihrer Klassifizierung widmete. Die frühgeschichtlichen Naturforscher übernahmen zwei wertvolle geistige Instrumente der philosophischen Schulen - die Analyse und die Logik.
Durch die Jahrhunderte wurde die naturwissenschaftliche Methodik kontinuierlich verbessert. Die modernen Naturwissenschaften der Gegenwart beschreiben die Strukturen und Prozesse der belebten und unbelebten Natur. Sie beanspruchen nicht weniger als eine einheitliche, in sich schlüssige mathematische Beschreibung der sinnlich erfassbaren Welt - und somit des gesamten Universums.
Naturwissenschaftliche Analysen beruhen auf Fakten, genauer gesagt auf objektiven Daten, anhand derer Aussagen über die Beschaffenheit der Welt entweder direkt nachweisbar sind oder durch logische Schlussfolgerungen als wahrscheinlich erachtet werden können. Daten sind im übertragenen Sinne das Manna der Naturwissenschaften, ihr tägliches Brot, ohne Daten gäbe es keine Forschung. Daten werden durch empirische Methoden systematisch erfasst und ausgewertet, sie sind das Ergebnis von Messungen. Dabei gilt traditionell als zentrales Kriterium, dass Untersuchungsergebnisse wiederholbar und überprüfbar sein muss. Naturwissenschaftliche Thesen müssen verifizierbar sein, erst dann wird die These als Gesetzmäßigkeit offiziell anerkannt. Alle großen Leistungen der Physik, Chemie, Biologie, Geologie, Klimatologie, Archäologie und anderer Fachrichtungen sind auf dieses Prinzip der wiederholbaren Messbarkeit zurückzuführen.
Die hier genannten klassischen Grundsätze der Naturwissenschaften sind zugleich ihr Dilemma. Sie repräsentieren eine eingeschränkte Sichtweise, denn sie reduzieren die Beschreibung der Welt auf das Prinzip der Nachweisbarkeit. Phänomene, die nicht messbar sind, werden entweder ignoriert oder als halluzinative Wahrnehmungen abgetan. Das Resultat ist eine normative Reduktion, indem nichtmessbare Erkenntnisse von vornherein ausgeschlossen werden. Erfreulicherweise zeichnet sich seit einigen Jahrzehnten ein Trend ab, die orthodoxen Wissenschaftsdogmen zu hinterfragen. Es werden vermehrt nicht überprüfbare Thesen in Betracht gezogen, insbesondere in der theoretischen Physik. Der Abgrenzung gegenüber den sogenannten Pseudowissenschaften wird jedoch weiterhin eine hohe Priorität eingeräumt.
Die Quantenphysik revidiert das Verständnis des Zeitbegriffs, dessen ungeachtet wird die spirituelle Erkenntnis, dass Vergangenheit und Zukunft einzig und allein in der geistigen Vorstellung existieren, von den meisten Wissenschaftlern ignoriert. Die Visionen der Erleuchteten werden als Halluzinationen abgetan.
Die Erforschung der Natur ist ihr Programm, doch ironischerweise verhindert die reduktionistische Doktrin der Naturwissenschaften die Entdeckung der wahren Natur des Seins. Es ist genau genommen so widersinnig, dass man meinen könnte, es handele sich um einen Witz: Die wissenschaftliche Zunft ignoriert das Wahre und bestätigt die Illusion.
Dabei lehren ausgerechnet die Naturwissenschaften, dass die Welt nur eine Projektion ist. Die farbigen Bilder, die das menschliche Auge sieht, entstehen erst im Gehirn. Man weiß, dass die Farben, die Körperpersonen zu sehen glauben, durch farblose elektromagnetische Wellen erzeugt werden, deren Signale erst durch physiologische und neuronale Prozesse im Gehirn in bunte Bilder übersetzt werden. Auch Objekte, deren Abbilder Menschen sehen und die sie für real halten, sind Reflektionen bestimmter elektromagnetischer Wellenlängen; sie nehmen erst durch die neuronale Verarbeitung im Gehirn Form und Gestalt an.
Ebenso verhält es sich mit Schallwellen, die der Körper in Geräusche übersetzt. Die Schwingungen der Luft, die durch Bewegungen von molekularen Teilchen entstehen, sind geräuschlos. Erst wenn diese Wellen auf die empfindlichen Strukturen unseres Gehörapparats treffen und ihr Schwingungsmuster übertragen, werden diese - wieder durch neuronale Schaltungen - im Gehirn in Geräusche übersetzt.
Der menschliche Geruchssinn verarbeitet Moleküle, die in der Atemluft schweben und selbst keine Geruchseigenschaften besitzen, und auch, was ein Mensch schmeckt, ist das Resultat von umgewandelten molekularen Signalen.
Ob oben und unten, heiß und kalt, innen und außen - alle Sinneswahrnehmungen des Köpers erfolgen durch die Umwandlung von Signalen. Ohne Sinne gäbe es weder innen noch außen, weder oben noch unten. Die Wissenschaft hat die Mechanismen und Prozesse der sinnlichen Wahrnehmung bis in kleinste Details erforscht, und ein faszinierendes Fazit dieser Erkenntnisse könnte wie folgt lauten:
Wissenschaftliche Ergebnisse weisen eindeutig nach, dass die Welt eine Projektion des Geistes ist.
Genau diese logische Folgerung bleibt jedoch aus. Die entscheidenden Schlussfolgerungen aus zahlreichen nachweisbaren, allgemein anerkannten Feststellungen werden nicht gezogen.
Die Wissenschaft ignoriert das Offensichtliche und erkennt nicht, dass die tastbare, materielle Welt in Wirklichkeit virtuell ist, während das wahre Sein weder gemessen noch beschrieben werden kann. Dieser fundamentale Irrtum ist ein Paradoxon.
Das Wissen, das in Schulen und Universitäten vermittelt wird, beinhaltet die gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Menschen und die vermeintliche Außenwelt, die ihn umgibt, vom aufrechten Gang zur Neurobiologie, vom heliozentrischen Weltbild bis zum multidimensionalen Universum und der Dunklen Materie. Das Schulwissen des Menschen hält die Projektion der Welt für real.
Die Biologie, die sich mit Lebewesen beschäftigt, hat die Essenz des Lebens überhaupt nicht verstanden; sie hat sie nicht einmal erkannt. Auch die anderen Fächer und Disziplinen lehren einen fundamentalen Irrtum und lassen keinen Raum für Berichtigungen. Sie bringen den Kindern und Heranwachsenden bei, eine Welt zu erforschen, die in Wirklichkeit ein Film ist, eine visuelle Projektion. So lernt der Mensch die Leinwand zu untersuchen, auf der die Projektion erscheint, die Lichtquelle des Films, das Licht des Lebens, bleibt unentdeckt.
Selbstverständlich dürfen und sollten junge Menschen lernen, die Gesetzmäßigkeiten der Welt zu verstehen. Der entscheidende Unterschied, der aus Gewohnheit ignoriert wird, liegt in dem Wissen, was real ist und was virtuell. Die Philosophiedozenten und Religionslehrer sind gefordert, ihrem Fach die Bedeutung zu verschaffen, die ihm zur Berichtigung dieserf Schieflage zukommen sollte.
So wie die universelle Gesamtheit in sich widerspruchsfrei ist, könnten auch Spiritualität und Wissenschaft Hand in Hand gehen ohne sich zu widersprechen. Es ist nicht die Wissenschaft an sich, die der spirituellen Illumination ablehnend gegenübersteht, es sind immer nur die Gedanken der Menschen, die ablehnen oder akzeptieren. Das starre Festhalten an erlerntem Wissen schafft ein dogmatisches Korsett, das den Geist hindert, unvoreingenommen zu denken. Der Geist wird hierdurch unfrei, er ist nicht mehr offen und verliert eine wichtige, ihm ureigene Fähigkeit – er hört auf vorbehaltlos zu lernen.
Das Reale ist widerspruchsfrei. Es gibt weder Alternativen noch Interpretationen. Die eine höchste Realität ist absolut. Der Mensch, der sein Selbst nicht kennt, gleicht einem Schläfer, der nicht erwacht. Er hält seine Träume für die Wirklichkeit. Wenn die Welt aber eine Projektion ist, dann ist der Mensch nicht ein Objekt in der Welt, sondern die Welt existiert in ihm.
19.06.2011
Siegen
Ich habe keine Lust mehr. Es ist nicht unbedingt die Biologie als Fachrichtung, die mir widerstrebt, sondern vielmehr die Engstirnigkeit des Wissenschaftsbetriebs und die nervige Beschäftigung mit der eigenen Karriere.
Die Uni Siegen liegt auf einer Anhöhe. In meinem Dienstzimmer blicke ich dank der großen Fenster auf ein spektakuläres Landschaftspanorama. Heute Morgen hängen Nebelfahnen in den Tälern, darüber die sonnenbeschienenen Bergrücken - es ist unbestreitbar wunderschön, trotzdem nur zweite Wahl. Mein Herz gehört den freien Horizonten des Nordens, bei jedem Wetter.
Ich hatte diese Vertretungsprofessur in Siegen Ende September 2010 relativ spontan angenommen. Sie war auf ein Jahr befristet, es bestand die vage Option auf eine Festanstellung. Bis zum Vorlesungsbeginn hatte ich ganze zwei Wochen Zeit ein präsentables Lehrprogramm aus dem Ärmel schütteln. Stoff für drei 90-minütige Vorlesungen zur Molekulargenetik, Evolution und zur Allgemeinen Biologie II, dazu Seminare und Praktika. Es war der reinste Irrsinn.
Ich war 52 Jahre alt, und ich hatte ein verstärktes Bedürfnis nach Planungssicherheit. Also biss ich zuerst in einen sauren Apfel, als ich die Stelle annahm, und danach die Zähne zusammen, um die Vorlesungen mit Inhalten zu füllen. Ich stellte von früh bis spät meinen Vorlesungstoff zusammen.
Jetzt, ein Jahr später, habe ich keine Lust mehr. Ich habe prinzipiell kein Problem damit eine Vorlesung zu halten oder 90 Minuten mit Informationen zu füllen. Es ist die Art der Kommunikation, die mir missfällt. Vermutlich gibt es Professoren, die es genießen, eineinhalb Stunden lang in einem großen Hörsaal mit einem Mikrofon am Revers einen Dauermonolog zu halten und dabei eine Folie nach der anderen durchzuschieben. Ich gehörte nicht dazu. Man muss es einmal selbst gemacht haben, um den Entfremdungseffekt nachvollziehen zu können.
Ab und zu meldet sich jemand aus der Zuhörerschaft mit einer Frage, wodurch einen kurzen Moment lang die Kommunikation in eine gewöhnliche Dialogform übergeht und die Surrealität der Vorlesung besonders hervorgehoben wird. Danach rede ich weiter in einem fort und blicke in die leeren Gesichter meines Publikums. Hin und wieder zeige ich eine witzige Folie, um die Gesichter zum Lachen zu bringen, gebe für einen Anflug gelöster Heiterkeit die üblichen Professorenkalauer zum Besten. Eine monotone Vorlesung ist schwerer verdaulich als eine Suppe ohne Salz. Ohne eine gute Prise Infotainment bleibt das Menu zu fade.
„Wie Sie sehen können, ist die Vererbung von genetischen Merkmalen in der Linie der Habsburger phänotypisch recht markant ausgeprägt! Man achte auf die Kinn- und Lippenpartie! Dies ist das Erscheinungsbild von Fortpflanzungsgewohnheiten, die man landläufig als Inzucht bezeichnet!"
„Diese Begriffe werden gerne verwechselt, darum noch einmal zum Mitschreiben: zwei Schwesterchromatiden bilden ein Chromosom. Die X-förmigen Gebilde, die Ihnen im Internet üblicherweise als Chromosom vorgegaukelt werden, sind also in Wahrheit zwei Schwesterchromatiden eines Metaphase-Chromosoms, in dem die DNA verdoppelt – wohlgemerkt: verdoppelt! - vorliegt."
„Phanerozoikum bedeutet »sichtbares Leben«, wobei wir uns fragen müssen, welche Formen des Lebens wir dann als unsichtbar definieren möchten."
„Homoiotherme Tierarten besitzen in Gebieten mit höherer Luftfeuchtigkeit eine stärkere Pigmentierung als Artverwandte in Gebieten höherer Aridität. Das ist die Gloger'sche Färberegel, da haben sich spitzfindige Biologen mal wieder eine komplizierte Regel für einen relativ schlichten Sachverhalt ausgedacht - alles bloß, um Sie damit zu quälen, denn Sie müssen diese und sechs weitere, ähnlich tiefsinnige Regeln auswendig lernen."
„Das ist die Frage, die Evolutionsbiologen nachts nicht schlafen lässt: Wie kann man die verhältnismäßig große Diversität und vor allem die extreme Disparität nach der Kambrischen Explosion erklären?"
Ich doziere vor mich hin, ohne ein Gespräch zu führen. Was in den Studierenden vor sich geht, bleibt im Halbdunkel des Hörsaals verborgen.
Ein paar Mal habe ich mich in die Vorlesungen meiner KollegInnen gesetzt. Aus reiner Neugier, denn ich wollte wissen, ob es im Hörsaal noch zuging wie zurzeit meines Studiums oder ob sich etwas grundlegend geändert hatte. Was ich beobachten konnte, überraschte mich, denn während meiner eigenen Vorlesungen habe ich nichts von davon mitbekommen:
Jeder zweite bis dritte Zuhörer war mit dem Smartphone oder einem Notebook beschäftigt; einige schauten sich den Wetterbericht an, wieder andere tackerten geschickt mit beiden Daumen eine Textnachricht in das Gerät. Und einige Studierende googelten im Internet nach, was die Dozenten unten im Hörsaal an Fachbegriffen von sich gaben. Schätzungsweise zwei von 10 Studis machten sich Notizen.
Interessanterweise schien es in jeder Vorlesung mindestens zwei Studentinnen zu geben, die die gesamten 90 Minuten angeregt durchsabbelten. Mir ist bewusst, dass ich hier ein Klischee beschreibe, aber es hat sich nun mal genau so zugetragen. Ich war ziemlich perplex, als ich zum dritten Mal Zeuge einer solchen Unterhaltung wurde. Es waren nicht dieselben Studentinnnen, es waren jedesmal andere, darauf hatte ich geachtet. Sie sprachen nicht einmal mit gedämpften Stimmen, in einem Radius von 10 bis 15 m konnte man jedes Wort mithören, ob an wollte oder nicht. Ich saß etwas weiter von ihnen entfernt und verstand immerhin noch mehr als 60% der Unterhaltung.
„… erst ruft er an und erzählt, wie geil er alles fand, weisste? Am Wochenende … von seinem Bruder das Motorrad ausgeliehen und … vom Bahnhof abgeholt … dann wusste er plötzlich angeblich … als wäre nichts gewesen … ignoriert … als wäre ich Luft … ich hatte sooo die Nase voll, echt jetzt!"
„Ja, und was ist, wenn er wieder zurückkommt? Ich würde … so langsam aber sicher verarscht ... also, es tut mir leid, aber Rainer ist ein … kann sich alles erlauben!"
„Was soll ich denn machen? Ich habe ihm doch … nicht einfach rauswerfen! … aber pass auf, das glaubst du jetzt echt nicht! … und hatte vorher – vorher! – allen erzählt, jetzt wäre Ninette … aber echt gar nicht übertrieben, weisste?"
Die beiden Studentinnen hielten das die gesamte Vorlesung durch, es gab nicht einmal den Ansatz einer Pause. Hatten sie keine Antenne für unpassendes Verhalten? Beim dritten Smalltalk-Pärchen sah ich, dass sich die beiden zu Beginn der Vorlesung noch die Mühe machten, das Titelthema der Veranstaltung in ihre College-Blöcke zu schreiben. Dabei blieb es, mehr schrieben sie nicht dazu, nur den Titel. Nach der Vorlesung verspürte ich den Impuls sie zu fragen, warum sie sich nicht lieber in die Cafeteria gesetzt hätten, statt eine Vorlesung zu besuchen. Eigentlich eine naheliegende Frage, die ich mir letztlich verkniff. Sie wäre zu konfrontierend gewesen.
Meine bisherige Forschungsarbeit ist durch die Lehrveranstaltungen vollständig zum Erliegen gekommen. Sonderbarerweise gefällt mir diese Entwicklung. Wenn ich mit anderen über meine Forschungsarbeit spreche, bemerke ich, wie sich immer häufiger ein ironischer Zwischenton in meine Rede schleicht:
„Wir untersuchen mithilfe molekularer Merkmale die genauen Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der Arthropoda. Sind einige Krebstiergruppen enger mit den Insekten verwandt? Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, aber wie viele Menschen auf der Welt interessiert das? Was denkst du? Ich schätze so um die Tausend, mehr sind es wahrscheinlich nicht. Was ich mache, hat also eine gewisse Exklusivität! Ha, ha, ha!"
Am letzten Tag des Laborpraktikums im März blitzte ein flüchtiger Hintergrundgedanke in mir auf: Ich könnte mit der Biologie aufhören! Diese Überlegung, die zu Beginn wie eine abwegige Option erschien, kehrte einige Tage später zurück und formierte sich radikaler und entschlossener. Ich werde mit der Biologie aufhören!
Erst jetzt fiel mir ein, dass ich die Vorentscheidung bereits 1990 getroffen hatte. Wow! Der Hammer, Alter! Punktgenauer ging es nicht mehr! Ich würde exakt so lange als Biologe arbeiten, bis ich die Lust daran verlöre.
Ich treffe die endgültige Entscheidung in meinem Arbeitszimmer, während ich träumend auf die sonnigen Siegerland-Hügel schaue. Die in Aussicht gestellte Festanstellung hat sich als eine bunt schillernde Seifenblase entpuppt. Ich habe endgültig genug von dem Karrieretheater der Muppet Show. Die Vertretungsprofessur war eine Einbahnstraße, die in eine Sackgasse geführt hat. Man hatte dringend einen Lückenfüller gebraucht, und ich war zweckoptimistisch genug gewesen mich darauf einzulassen.
Ich sehe aus dem Fenster. In den Senken der Hügel lösen sich die weißen Nebelfahnen langsam auf, sie verdunsteten in den Strahlen der Morgensonne. Mit dem sich lichtenden Nebel gewinnt auch in mir ein Bild an Klarheit. Die Vertretungsprofessur ist keine Sackgasse, sie ist eine Chance, die ich als Sprungbrett nutzen könnte!
Cora arbeitet inzwischen in Hannover an einer kleinen Montessori-Grundschule als Lehrerin. Die Schule, die von einer Elterninitiative gegründet worden war, soll erweitert werden. Es gibt fortgeschrittene Pläne ein ganzes Schulgebäude in der Südstadt zu übernehmen. Sie suchen Personal, Leute, die einsteigen und mitmachen.
Statt Dauervorlesungen als Hochschullehrer zu halten, könnte ich Lehrer sein und mit Schülern zusammenarbeiten. Oh Mann! Lehrer an einer Schule?
07.-08.10.2011
Von: Jürgen Langenkemp <jlangenkemp(at)t-online.de>
An: Stefan van Rij <svr(at)yahoo.de>
Gesendet: Mittwoch, 7. September 2011, 22:39:34
Betreff: Siegen
Hallo Stefan,
was ist schlimmer als verlieren? fragten in den 80ern die Studenten.
Siegen!
Und nun bist du da, und Louisa will auch noch hin. Mein Töchterchen hat sich - das Abi in der Tasche und gerade aus dem Urlaub in Schweden zurückgekehrt - in ihr blondes Köpfchen gesetzt, die Einladungen nach Bonn und Essen in den Wind zu schlagen (andere in anderen Bundesländern ebenso) und den Studienplatz im Nachrückerverfahren in Literatur sowie Sprache und Kommunikation in Siegen anzunehmen. Positiv gesehen: Sie denkt fachorientiert und geht nicht nach der Attraktivität und dem vermeintlichen Renommée von Unistädten. Negativ: Ich kann nicht "Helicopter Parents" spielen und ihr Ratschläge zu Siegen oder gegen Siegen geben. Ehrlich gesagt, möchte ich das auch nur in sehr begrenztem Rahmen. Das Positivste an allem ist, dass sich daraus die Möglichkeit ergeben könnte, dass wir uns in Kürze bald mal sehen, d. h. evtl. im Oktober oder November.
Hättest du Tipps zu Siegen? Für die Wohnungssuche vielleicht? Du steckst doch noch in SI, oder bringe ich da etwas durcheinander?
Schöne Grüße aus MI - auch an Cora!
Jürgen
Von: Stefan van Rij <svr(at)yahoo.de>
An: Jürgen Langenkemp <jlangenkemp(at)t-online.de>
Gesendet: Donnerstag, 8. September 2011, 02:14:05
Betreff: Re: Siegen
Lieber Jürgen,
Siegen ist so eine Sache. Im Rahmen des Studiums andere Städte auszuprobieren, den Standort aus fachlichen Gründen zu wählen - das sind spannende Entscheidungen, die man nicht oft trifft im Leben. Man ist ungebunden, frei wie ein Vogel. Und man hat die freie Wahl.
Siegen ist eine Uni-Stadt der dritten Wahl. Das muss man ganz klar sagen. Viele Studierende kommen von außerhalb, z.B. aus Bonn, und viele sind nach Siegen gekommen, weil sie woanders keinen Studienplatz bekommen haben. Die Stadt bietet eher wenig von dem, was man aus anderen Städten als Studentenkultur kennt und liebt. Ich selbst werde nicht warm mit dieser verschachtelten, engen Stadt und freue mich jeden Donnerstag, wenn ich auf einer der Strecken zwischen Kassel und Paderborn die befreiende Weite der norddeutschen Tiefebene erblicke.
Wie du weißt, wohnen wir seit Kurzem in Hannover, und an den Wochenenden zu Hause erstaunt mich immer wieder, wie vergleichsweise elegant und modern diese Stadt ist – verglichen mit beispielsweise Siegen.
Ich weiß nicht, wie es im Fachbereich Kommunikation zugeht. Was die Biologie betrifft, betreibt die Uni-Leitung eine recht kurzsichtige Personalpolitik: Zwei zu 95% sichergeglaubte Professuren wurden ersatzlos gestrichen, eine davon "meine" Vertretungsstelle für Molekularbiologie. Ich kann die Vertretung zwar "bis auf Weiteres" fortsetzen, habe mich aber im Frühjahr entschieden, dass ich es leid bin. Ich werde ab Oktober beim Montessori Bildungshaus Hannover eine Dauerstelle mit Dienstwohnung antreten. Die Schule, die als kleine Elterninitiative begann, ist in den letzten Jahren stetig und sehr positiv expandiert. Wir haben diesen Sommer die Liegenschaften einer ehemaligen Grundschule übernommen, die rundum renoviert und saniert wird. Ich werde im ersten Jahr "Facility Manager" sein (klassischer Hausmeister + Management der vielen AGs) und ab dem nächsten Schuljahr Naturwissenschaften in der Oberstufe unterrichten.
Wir werden uns also leider nicht in Siegen sehen, dafür gerne jederzeit in Hannover oder Minden.
Beste Grüße!
Stefan
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Stefan van Rij
Interim Professor for Molecular Biology
Department of Biology and Didactics
University of Siegen
Adolf-Reichwein-Str. 2
D-57068 Siegen
Germany
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